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Roger Caillois und sein Milieu – Ästhetik, Politik, Psychoanalyse

München  // 27.-28. April 2020

Roger Caillois und sein Milieu – Ästhetik, Politik, Psychoanalyse

 

Workshop des Teilprojekts Mimetische Existenzweisen, DFG-Forschungsgruppe (1867/2) Medien und Mimesis

 

Ort: Auditorium im Erweiterungsbau, Akademie der Bildenden Künste München

 

Mitte der 1930er Jahre veröffentlicht Roger Caillois seine ersten wichtigen Arbeiten – „Die Gottesanbeterin“ (1934) und „Mimese und legendäre Psychasthenie“ (1935) – im surrealistischen Magazine Minotaure. 1934 schreibt er jedoch auch einen offenen Brief an dessen Chefredakteur, André Breton, in dem er sich aufgrund der sogenannten „querelle des haricots sauteurs“ vom bretonschen Surrealismus ab- und sich stattdessen einem neuen Rationalis- mus inspiriert von Gaston Bachelards „Surrationalismus“ zuwendet. Einige Jahre später, 1937, gründete er zusammen mit Georges Bataille und Michel Leiris in Paris das Collège de Sociologie, dessen Lehr- und Vortragsbetrieb jedoch nur bis 1939 aufrecht erhalten werden kann. Daraufhin begibt er sich auf Einladung von Victoria Ocampo nach Argentinien, wo er von der deutschen Besetzung Frankreichs überrascht wird und sich gezwungen sieht, den zweiten Weltkrieg im Exil zu verbringen.

Der Workshop „Roger Caillois und sein Milieu – Psychoanalyse, Ästhetik, Politik“ widmet sich dieser frühen Periode der Arbeiten Caillois‘ und besonders dem hier entwickelten Begriff der Mimese und seiner ästhetischen, lebenswissenschaftlichen und politischen Bedeutung sowie seinem Einfluss auf die Arbeiten anderer Theoretiker.

So wurde Caillois‘ Konzept der Mimese von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in Die Dialektik der Aufklärung (1944) mit dem Todestrieb bei Sigmund Freud in Verbindung gesetzt. Im Briefwechsel zwischen Adorno und Walter Benjamin findet Caillois mehrfach eine ambivalente Erwähnung: besonders Adorno zeigt sich einerseits von seinem Mimesis-Begriff und der Engführung von Biologie und Ästhetik fasziniert, beide bezeichnen aber andererseits seine Interpretation des Mythos als „krypto-faschistisch“. Auch Jacques Lacan bezieht sich verschiedentlich in wichtigen Schriften, etwa zum Spiegelstadium oder zum Blick, geradezu emphatisch auf Caillois. An diese Lektüre schließt wiederrum Rosalind Krauss in ihren bildwissenschaftlichen Untersuchungen an und legt sie ihrer Perspektive auf einen anderen, nicht-bretonschen Surrealismus zugrunde.

Der Workshop untersucht ausgehend von diesen ideengeschichtlichen und zeithistorischen Beziehungen sowohl jene Verbindungen zwischen Biologie und Ästhetik, die Caillois selbst unter dem Schlagwort einer „diagonalen Wissenschaft“ in seinem Denken zieht, als auch jene Rezeptionslinien, die sich aus seinem Werk heraus entfalten, seien diese psychoanalytischer, bildwissenschaftlicher oder medienphilosophischer Art. Der Workshop schlägt vor, sich dem Denken Caillois‘ nicht nur über dessen Texte, sondern gerade über dessen intellektuelles und zeithistorisches Milieu zu nähren. Damit soll nicht die Analyse einzelner Arbeiten Caillois‘ im Vordergrund stehen, sondern stärker deren kritische, oftmals gescheiterte, teilweise euphorische Rezeption und damit ihre Funktion in einer ästhetisch-politischen Theoriegeschichte, die von den 1930er Jahren bis heute andauert.

 

Programm:

 

Montag, 27.04.20

14:00-14:30
Maria Muhle München

Begrüßung und Einführung

 

 

14:30-15:45

David Quigley Stuttgart
„La poésie n’a pas droit à l’autonomie“: Constructing Reality in Literature, Art and the Experimental Humanities

 

 

16:15-17:30

Nadine Hartmann Weimar
Außer-sich-sein: Verausgabung und Selbstaufgabe bei Bataille und Caillois

 

 

17:45-19:00

Gleb Albert Zürich
Linke Intellektuelle in der ‚Mitternacht des Jahrhunderts‘: Zwischen Exil und Volksfront, Antifaschismus und Terror, Hitler und Stalin

Moderation: Friedrich Balke Bochum

 

 

Dienstag, 28.04.20

 

10:00-11:15Samo Tomšič Berlin
Objektiver Schein, produktive Mimesis: Lacan mit Caillois

 

 

11:30-12:45

Jule Govrin Freiburg
Thanatos und das Anti-Soziale: Der Todestrieb als iterativ-disruptive Kraft des Politischen

 

 

14:00-15:15

Stephan Gregory Weimar
Mit der linken Hand: Gemeinschaft und Verrat bei Bataille, Caillois und Genet

 

 

15:15-16:00
Sebastian Althoff München

Zusammenfassung und Abschlussdiskussion

Moderation: Jenny Willner München