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Mimesis des Hybrid-Objekts
Prof. Dr. Helga Lutz
(Universität Bielefeld, Arbeitsbereich Historische Bildwissenschaft/Kunstgeschichte)
Prof. Dr. Bernhard Siegert
(Bauhaus-Universität Weimar, Internationales Kolleg für
Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie)
Linda Keck, M.A.
(Bauhaus-Universität Weimar, Fakultät Medien)
Maja-Lisa Müller, M.A.
(Universität Bielefeld, Arbeitsbereich Historische Bildwissenschaft/Kunstgeschichte)
Das TP vertieft den Begriff der ‚exzessiven Mimesis‘ und übersteigt ihn zugleich. Insofern unterschiedlichen Phänomenen exzessiver Mimesis Schwellenzustände oder Grenzüberschreitungen im weitesten Sinne zugrunde liegen, die heterogene Wirklichkeiten koppeln oder ambiguisieren, konkretisieren sich diese Schwellenzustände und Grenzüberschreitungen in der technischen Form hybrider Medien.
Einerseits schließt das TP an Theorien an, mit deren Hilfe Objekte als hybride Kollektive aufgefasst werden können, andererseits richtet sich das Interesse des TP jedoch konkret auf Formen einer Mimesis, die darstellt, indem sie amalgamiert, verkettet, einbettet und ‚reenactet‘ – die mithin auf Operationen der materialen Hybridisierung heterogener Seinsordnungen beruht. Die mimetische Darstellung ist dabei nicht auf die Schaffung von Fiktion aus, sondern auf die Produktion von faitiches (Latour), auf die Schaffung oder Sicherung hybrider Realitäten. Faitiches lösen die ontologische Differenz von Sprache und Welt, von Konstruktivismus und Realismus in eine Kette von Übersetzungen auf, die sich konkret in Hybridobjekten materialisieren.
Das TP wendet sich drei Gegenstandsbereichen zu, deren Untersuchung jeweils einen bestimmten Aspekt von Hybridobjekten akzentuiert.
- Intarsien. Die Grenze zwischen Bildwelt und Betrachterwelt, die das Trompe-l’oeil zu durchstoßen sucht, wird im Fall der tarsie prospettiche komplett aufgehoben; das Bild ist nicht der Realität entgegengesetzt, sondern ist in sie eingelassen (in Architektur und Möblierungen). Die Verschränkung zwischen Bildträger und Bildzeichen ist nicht an die Operation der Rahmung gebunden, sondern greift tendenziell auf ganze Räume über (wie etwa im Fall des Studiolo di Federico da Montefeltro in Urbino).
- Klapp- und faltbare Bildträger, die unter den allgemeinen Begriff von Scharniermedien gefasst werden können, lassen als bewegliche technische Gefüge den prozessualen Aspekt von Hybridobjekten in den Vordergrund treten. Scharniermedien prozessieren Übergängigkeiten zwischen verschiedenen Existenzweisen wie dem Profanen und dem Sakralen (im Fall von Diptychen und Triptychen), realen und fiktionalen Objekten, zwischen dem Visuellen und dem Haptischen, zwischen ‚Denkakten‘ und ‚Medienakten‘. Das Exzessiv-Mimetische zeigt sich im Fall von Scharniermedien in Form der gegenseitigen Inanspruchnahme von technischen und semantischen Operationen, aber auch von Natürlichem und Übernatürlichem. Im Rahmen dieses Arbeitsschritts werden daher auch außereuropäische Klappobjekte wie z.B. die Transformationsmasken der Kwakwakaʼwakw an der amerikanischen Northwest Coast berücksichtigt werden.
- Quasi-Objekte. Schließlich will das Projekt die theoriegeschichtlich vorhandenen Bezüge zwischen der Theorie des faitiche und der Theorie des Quasi-Objekts, wie sie von Serres entwickelt worden ist, anhand einer dritten Serie von Hybridobjekten zu entfalten: am Körper tragbarer, klappbarer Amulette, Miniaturanhänger und -reliquiare. Bei diesen tritt (neben dem Aspekt der Subjekt-Objekt-Relation) der Praxis-Aspekt von Hybridobjekten in den Vordergrund (ihre Gebrauchsweise), durch den sie zu Mit-Akteuren bei der Konstruktion genealogischer, politischer und sozialer Identität werden.
Das Eingelassensein des Bildes in die Realität durch die Intarsie, der performative Vollzug von Transitionen zwischen heterogenen Ontologien mittels Scharniermedien und die gegenseitige Bindung von sakralen und politischen K.rpern durch Quasi-Objekte: Dies sind die drei Aspekte von Hybridobjekten, die das TP für ein vertieftes und erweitertes Konzept exzessiver Mimesis fruchtbar machen will. Mimesis wird als eine spezielle Agency ausgezeichnet, die (ästhetische, politische, soziale) Realität schafft und sichert, indem sie Serien von Differenzen ambiguisiert und zu hybriden Ensembles verkoppelt.