Übersicht

Mimesis tropical

Stile der Nachahmung in den brasilianischen Jesuitenmissionen

 

Prof. Dr. Stephan Gregory
Bauhaus-Universität Weimar
Fakultät Medien
Forschergruppe „Medien und Mimesis“

 

Martin Siegler, M.A.

 

Das Projekt beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel mimetischer Praktiken in den brasilianischen Jesuitenmissionen des 16. und 17. Jahrhunderts. Auf der einen Seite interessiert es sich für das, was man als mimetischen Modus der Kolonialherrschaft bezeichnen kann; auf der anderen Seite geht es um die allgemeinere Frage, wie unterschiedliche Formen oder Artikulationen von Mimesis miteinander kommunizieren und sich transformieren können.
 Innerhalb des jesuitischen Missionsunternehmens werden fünf Schichten mimetischer Aktivität unterschieden: erstens die mimetischen Techniken der ignatianischen Spiritualität und der jesuitischen Erziehung, die das grundlegende ideologische Gepäck jedes nach Südamerika geschickten Missionars bildeten; zweitens die wesentlich von Jesuiten formulierte und getragene ‚política católica‘ des portugiesischen Kolonialregimes, die ein kompliziertes System der sozialen Platzanweisung und der Regulierung von Kommunikation darstellte; drittens die Neigung der Jesuiten zu listigen, ‚machiavellistischen‘ Verfahrensweisen, die im Bereich der Mission eine eigene und von rivalisierenden Orden heftig bekämpfte Strategie der mimetischen Anverwandlung an lokale Gewohnheiten, Lebensstil und Riten hervorbrachte; viertens die lokale Umsetzung dieses mimetischen Programms innerhalb der jesuitischen Missionsdörfer (aldeias), die als komplexe Subjektivierungsapparate auf der Grundlage einer Mischung aus Disziplin und Verführung zu beschreiben sind; und, fünftens, die Interferenzen und Rückwirkungen, die sich ergaben, sobald der mimetische Apparat der Jesuiten durch andere, insbesondere indigene mimetische Strategien herausgefordert wurden.
Anstatt, wie es in der Forschung meist der Fall war, die Untersuchung auf einen bestimmten Aspekt jesuitischer Mimesis (z.B. die Imitationspraxis der jesuitischen Kolonialarchitektur oder die Akkulturationsstrategien der Mission) zu beschränken, interessiert sich das Projekt gerade für die Beziehungen zwischen all diesen unterschiedlichen Formen von Ähnlichkeit, Repräsentation, Inkorporation, Assimilation, Simulation, Ausdruck, Werden etc. Erkenntnisleitend ist dabei die These, dass die „Familienähnlichkeit“ der jesuitischen Mimesis-Praktiken nicht die einer „Ideenfamilie“ (Stephen Halliwell) ist, sie beruht eher auf der wechselseitigen Anziehung, auf der ‚Wahlverwandtschaft‘ der Interaktionen. Heuristisch kann eine Praxis als ‚mimetisch‘ angesehen werden, wenn sie auf eine andere mimetische Praxis reagiert, sie beeinflusst oder transformiert.
Anhand des reichen Materials, das die brasilianischen Jesuitenmissionen zur Verfügung stellen, geht das Projekt der Frage nach, wie die unterschiedlichen Register des Mimetischen ineinandergreifen, welche Arten von „seltsamen und kreativen Übersetzungen“ (Deleuze/ Guattari) oder welche Arten von zerstörerischen Wirkungen sich aus der transsemiotischen Verkettung verschiedener mimetischer Systeme ergeben können. Der Begriff des ‚Tropischen‘ scheint gut geeignet zu sein, um diese Untersuchung anzuleiten. Roland Barthes hat darauf hingewiesen, dass in der antiken Rhetorik eine Trope als eine Bewegung der Ersetzung („Substitution“) und Transformation („Konversion“) verstanden wurde. So bezieht sich der Titel „Mimesis Tropical“ nicht nur auf eine Mimesis, die in den Tropen liegt; er bezieht sich auch auf die ‚Tropen‘, die Transformationen oder Umwandlungen, die zwischen den verschiedenen Formen oder Figuren der Mimesis stattfinden.