Übersicht

Mimetische Existenzweisen

 

Prof. Dr. Friedrich Balke
(Ruhr-Universität Bochum)

 

Prof. Dr. Maria Muhle
(Akademie der Bildenden Künste München)

 

Elisa Linseisen, M.A.
(Ruhr-Universität Bochum)

 

Sebastian Althoff, M.A.
(Akademie der Bildenden Künste München)

 

Eva Burkhardt, B.A.

 

 

Das in der ersten Förderphase gewonnene Verständnis von Mimesis, das die normative Ausrichtung des imitatio-Paradigmas infrage stellt, nutzt das Teilprojekt 1 für seine neue Schwerpunktsetzung. Mimesis soll nicht nur als eine Darstellungstechnik, sondern zugleich als eine Existenzweise betrachtet werden. Am Kreuzungspunkt medienphilosophischer, medienhistorischer und medienästhetischer Überlegungen wird das Konzept der ‚Mimetischen Existenzweisen‘ systematisch und historisch auf den folgenden Ebenen entfaltet.

Erstens: Unter dem Eindruck der Etablierung technischer Analogmedien im 19. Jahrhundert entstehen folgenreiche Theorien, die das Soziale als ein medienbasiertes Nachahmungsgeschehen definieren und in Kategorien der Suggestibilität und der Übertragung fassen. Daran anschließend, und in Übertragung auf eine Gesellschaft unter digitalen Kommunikationsbedingungen, fragt das Teilprojekt unter dem Aspekt (exzessiver) Verbreitungsdynamiken, wie sich fluktuierende Überzeugungen und Begehrensströme formieren, am Beispiel digitaler Bildgebungs-, Bilddistributionstechniken und der auf ihrer Grundlage entstehenden Ästhetiken.

Zweitens: Im Anschluss an Roger Cailloisʼ Konzept der ‚Mimese‘ wird der digitale Raum als mimetisches Milieu konzipiert, das durch komplexe und nicht-hierarchische Angleichungsgesten zwischen Umwelt und Organismus gekennzeichnet ist. Das gegenwärtige Interesse an der Rolle von Affekten sowie ihren digitalen Modellierungen greift das Teilprojekt auf, um ein Konzept des ‚Sozioaffekts‘ zu erarbeiten, das auf die Bedeutung von Prozessen der tendenziellen Verschmelzung von Organismus und technisch-apparativer Umgebung abzielt. Das mimetische Spiel von Unterscheidung und Anschmiegung an ‚ein Anderes‘ wird an aktuellen Transformationen von Personen, Identitäten und ihren ‚Masken‘ untersucht, die als spezifische Ausprägungen einer ‚digitalen Mimikry‘ begriffen werden, weil sie die von Caillois unterschiedenen Spielarten der Mimese (Travestie, Tarnung und Einschüchterung) aufgreifen.

Drittens: Das Teilprojekt befragt Mimesis schließlich unter dem Aspekt ihrer exzessiven Modulationsfähigkeit. Im Mittelpunkt stehen hier die Übergänge und Appropriationen sowie die technische (‚hohe‘) Auflösung einer spezifisch digitalen Bildlichkeit. Die Wende von der Manipulation künstlerischen Materials zum Management von Bildern oder Bildpopulationen im digitalen Milieu erfordert die Ausarbeitung einer transitiven Mimesis, die nicht-deterministische und nicht-kausale Reaggregationen von Bildern bzw. zwischen Bildern in den Blick nimmt. Die am Phänomen der HD-Bildlichkeit zu beobachtende spezifische Virtualität verschiebt Mimesis von der notorischen Nachahmung eines Vor-Bildes in den Bereich eines ‚Vor-dem-Bild‘: Mimesis wird hier als ein ‚Bildwerden‘ (devenir image) untersucht, das nur im Rahmen spezifischer Realisierungsmilieus Gestalt annimmt, woraus die extreme Flexibilität und Wandlungsfähigkeit der abgeleiteten Bildformen folgt.