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WORKSHOP: Topographien des Reenactments

04.12. – 05.12.2015
AdBK München

 

Ausgerichtet vom Teilprojekt Mindere Mimesis

Akademie der Bildendenden Künste München, 4. und 5. Dezember 2015

 

Gäste:

 

Vanessa Agnew, Monika Dommann, Martin Nachbar, Simon RothöhlerDavid WeberInes Weizman

 

 

Plakat_Topographien

 

 

 

Ablauf:

 

Freitag, 4. Dezember 2015

 

15h00–15h30

Einführung: Reenactment als Mindere Mimesis

Maria Muhle & Stefan Apostolou-Hölscher

 

15h30–16h30 Ines Weizmann

Räume stehlen. Das Phänomen des Doppelgängers in der Architektur

 

17h00–18h00 Simon Rothöhler

Vergangene Zukunftshorizonte. Zur Gegenwart filmischer Reenactments

 

18h15–19h15 Vanessa Agnew

Reenacting Genocide

 

 

Samstag, 5. Dezember 2015

 

9h30–10h30 Monika Dommann

Javier Cercas 23-F oder Ein historischer Kippmoment im Romanformat

 

10h45–11h45 David Weber

Levels of Exposure. Tom McCarthys Schreiben des Re-enactment

 

 

Programmänderung – anstelle des Vortrags von Bojana Cvejic:

 

12h00–13h00 Martin Nachbar
Mitmachen, nachahmen, sich erinnern: Tänze tanzen, die man selber nie (live) gesehen hat

Programm:

 

Ausgangspunkt des Workshops Topographien des Reenactments ist der Bezug von historiographischer Darstellung und Geschichte als Ansammlung historischer Ereignisse im Hinblick auf die derzeit in den Fokus gerückten Phänomene des Reenactments. Als historiographische Praxis zielen die Strategien des Reenactments zunächst darauf ab, die Differenz zwischen geschichtlichem Ereignis und seiner Darstellung in der größtmöglichen Ähnlichkeit und Authentizität seiner Nachstellung zu verneinen und die verschiedenen Spannungsverhältnisse zwischen ihnen aufzulösen. Formen des Reenactments wären in diesem Sinne repräsentativ für eine Historiographie nach dem „affective turn“ (Vanessa Agnew), der es um die erhöhte Anschaulichkeit von Geschichte geht und deren Ziel es ist, Geschichte qua Partizipation an der und Immersion in die Darstellung erlebbar bzw. nacherlebbar zu machen.

 

In Auseinandersetzung mit einem solchen Verständnis des Reenactment will der Workshop dessen hypermimetisches Vermögen gerade nicht als eine einseitige Auflösung der Spannung zwischen Geschichte und ihrer Darstellung verstanden wissen; vielmehr gilt es zu untersuchen, inwiefern die extreme Ähnlichkeit der Nachstellungen in besonderem Maße aufschlussreich ist für die Auseinandersetzung mit eben jener grundlegenden Ambiguität, die die Geschichte kennzeichnet: nämlich mit der Tatsache, dass Geschichte zugleich die res gestae und res narrata, also sowohl die Ebene der historischen Taten als auch jene der historiographischen Darstellung meint; eine Ambiguität, die die Geschichte auf ihrem Weg zur Geschichtswissenschaft immer wieder aufzulösen bzw. zu überspielen versucht hat (Jacques Rancière).

 

Eine zentrale These des Workshops ist dabei, dass gerade die gegenwärtige Verbreitung von Reenactmentpraktiken in Bereichen jenseits der Geschichtswissenschaften – besonders in der zeitgenössischen Kunst und im Film, aber auch in Architektur und Literatur – sich als deren spezifische Sensibilität für die Arbeit an der Ambiguität von Geschichte lesen lässt.

 

Mit Blick auf die zeitgenössische Kunst sind nachstellende Strategien nicht nur im Bereich der Performance und der Darstellenden Künste (Boris Charmatz, Jeremy Deller, Martin Nachbar, Milo Rau), sondern auch in der Videokunst (Omer Fast, Gerard Byrne) oder in rauminstallativen Arbeiten (bspw. die Environments von Allan Kaprow) verbreitet. Auch ganzen Ausstellungen (When attitude becomes form) werden vermehrt nachgestellt und weisen darauf hin, dass hier die Doppeldeutigkeit des Geschichtsbegriffs selbst operativ wird, insofern künstlerische Arbeiten, die zunächst eindeutig auf der Ebene der Darstellung historischer Ereignisse angesiedelt waren (Historienmalerei, Geschichtspanoramen) nun selbst re-enacted werden. Aber auch künstlerische Tendenzen wie die Appropiation Art (Sherrie Levine) weisen nachstellende Elemente aus, indem sie andere Arbeiten aneignen und diese so zu ihren eigenen machen. Zugleich werden in der zeitgenössischen Fotografie Bilder der modernen Malerei re-enactet (Jeff Wall/Manet) oder in digital produzierten Arbeiten analoge Effekte nachgestellt (wie auch umgekehrt; Ed Atkins, Mark Leckey) und so einem Medienwechsel unterzogen: Die Medien und künstlerischen Techniken der Darstellung werden folglich in diesen verschiedenen Wiederholungen selbst zum Objekt der Darstellung und damit zum ‚historischen Ereignis‘.

 

Vor dem Hintergrund eines derart verstandenen Begriffs von Reenactment muss die einseitige Festlegung der nachstellenden Strategien auf die Produktion immersiver Erfahrungsmöglichkeiten qua Partizipation am Dargestellten und das Angebot identifikatorischer Vorbilder zu kurz greifen: Vielmehr hinterfragen diese Strategien des Reenactments gerade den tradierten Gegensatz zwischen einer Ästhetik der Immersion, Illusion und Identifikation und einer Ästhetik der Distanz, des Dokumentarismus und der Kritik und dekonstruieren sowohl das blinde Identifikationsversprechen, an das eine totalisierende Geschichtsschreibung anknüpft, als auch den naiven Glauben an das Dokument, dessen kritische Distanz als Garant für einen umsichtigen Umgang mit Geschichte einsteht. Der Einsatz von Reenactment lässt sich derart nicht auf ein partizipatives Modell reduzieren, vielmehr rückt die hypermimetische Ähnlichkeitserzeugung in der Nachstellung und deren Remedialisierungseffekte in den Fokus.

 

Der Workshop möchte daher zur Diskussion stellen, inwiefern die Reenactments in der zeitgenössischen Kunst, im Film, der Literatur und der Architektur gleichwohl am Historiographischen Anteil haben und inwiefern diese produktive, hypermimetische Wiederholung politische Momente hervorrufen kann und soll. Zugleich gilt es auszuloten, inwiefern derart produktiv verstandene Wiederaufführungen nicht nur die Topographie der Gegenwart umzuschreiben vermögen, sondern auch ein anderes Licht auf deren Genealogie werfen. Sobald Historiographie nämlich aufgrund einer ‚Krise der Autorität‘ – sowohl der homogenen Geschichtsschreibung als auch der sie stützenden Dokumente – nicht mehr an zentrale Narrationen gekoppelt ist, verändern sich die Spannungsverhältnisse zwischen Populär- und Hochkultur, und Geschichte öffnet sich einer Vielzahl an Stimmen und materiellen Zugriffen. Formen des Reenactments können ebenfalls einer spezifischen ‚Kunst der Beschreibung‘ stattgeben, indem sie bisher verstellte Aspekte vergangener Ereignisse oder untergründige Seiten gegenwärtigen Geschehens thematisieren. Unter Gesichtspunkten der Architekturtheorie wiederum lässt sich fragen, inwiefern auch die städtebauliche Entwicklung von einer Vielzahl an Wiederaufnahmen von Vergangenem geprägt ist, die die Landschaft der Gegenwart beständig neu strukturieren.

 

In der Diskussion mit Positionen aus der Geschichtswissenschaft, der Medienwissenschaft, der Architekturtheorie, Philosophie und Kunsttheorie soll demnach eine Topographie alternativer Konzepte des Reenactments erarbeitet und problematisiert werden. Es soll untersucht werden, inwiefern auf den jeweiligen Feldern unterschiedliche Praktiken zu finden sind, welche die oben genannten Gegensätze traditioneller Verständnisse von Wiederaufführung aufweichen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern sich Reenactments anders denken lassen: nicht als naive Vergegenwärtigungen von Vergangenem, sondern als Konstruktion alternativer Topographien von Geschichte und der sie durchziehenden zeitlichen Verläufe – avisiert wird so ein anderer Blick auf das, was zur Herausbildung der Gegenwart beigetragen hat, sprich: eine andere Zeitgenossenschaft.